Besuch in Gladbeck und Recklinghausen
Im Gehörlosentreff in Gladbeck im Oktober und beim Gottesdienst in Recklinghausen im November tauchte ein fremdes Gesicht auf! Aber lassen wir es selbst berichten:
Ich bin Karline und 17 Jahre alt. Ich besuche die Waldorfschule Gladbeck in der 12. Klasse. An meiner Schule ist es so, dass man sich in der 12. Klasse für ein Jahr mit einer sogenannten Jahresarbeit beschäftigt. Für diese habe ich das Thema Gebärdensprache und Gehörlosen Kultur gewählt. Mein Interesse an dem Thema kam das erste mal vor zwei Jahren in meinem Praktikum an der Jordan Mai Schule (eine Schule für behinderte Kinder) auf. Dort wurde ständig das gesprochene mit Gebärden unterlegt, damit die Kinder dies besser verstehen konnten.
Ich stiess bei ein paar Recherchen auf die website Gebärdenkreuz wo stand, dass alle drei Wochen ein Gehörlosentreff stattfindet.
Ich konnte mein Glück kaum fassen und kontaktierte den Pfarrer Hendrik Korthaus, und die Leiterin Ulrike Wormland.
Beide versicherten mir freundlich, dass ich willkommen sei.
Ich freute mich sehr, da es das erste mal sein würde, wo ich die Möglichkeit hätte mich mit gehörlosen zu unterhalten und meine Fragen beantwortet zu kriegen.
Doch je näher der Tag rückte, desto aufgeregter wurde ich. Was wenn die Kommunikationsbarriere im Weg stehen würde? Was wird mich erwarten? Deshalb übte ich extra zwei Tage vorher in Endlosschleife „mein Name ist Karline“ zu Gebärden. Neben meiner Aufregung war ich so interessiert. Deshalb ging ich mit Vorfreude zu dem Treffen.
Als ich den Raum betrat, in dem Menschen ohne Worte kommunizierten, war ich sofort fasziniert: wie funktioniert das Leben ohne Klang?
Ich stellte mich vor und setzte mich. Die Atmosphäre war ungezwungen und gesellig. Die Leute unterhielten sich mit Gebärdensprache, Mimik und Gesten über alles mögliche. Ich fühlte mich willkommen und plötzlich waren alle Bedenken die ich zuvor hatte wie weg geputzt.
Die Leiterin des Treffs zog ihre Aufmerksamkeit natürlich nicht mit einer Glocke, sondern mit Hilfe des Lichtschalters auf sich indem sie ihn mehrmals drückte. Was für mich überraschend aber komplett logisch war. Sie sprach zunächst ein paar organisatorische Themen an und stellte mich dann vor. Alle lächelten mich lieb an winkten mir zu oder riefen meinen Namen.
Kurz danach wurde leckerer Kuchen serviert und alle fingen wieder an sich miteinander zu unterhalten.
Die bereits erwähnte Leiterin des Treffs Ulrike eine sehr offen wirkende lächelnde ältere Dame fing an mir von ihrer Geschichte zu erzählen. Von ihrem Weg dass ihre Eltern früher glaubten sie wäre zu faul zum reden und dass erst nach geraumer Zeit festgestellt wurde, dass sie gehörlos war. Sie erzählte wie sie die Gebärdensprache von anderen Kindern deren Eltern die Gehörlosenspache beherrschten auf dem Schuhlhof lernte und dass ihre Lehrer kein Verständnis für die Behinderung hatten und deshalb immer mit dem Gesicht weggedreht mit den Kindern sprachen damit sie ihre Lippen nicht lesen konnten. Sie erzählt dass wenn sie Gebärdensprache in der Öffentlichkeit sprach aufgefordert wurde dies zu unterlassen, da die Leute gucken würden. Dass sie deshalb keinen Mut hatte und sich im Endeffekt darüber hinwegsetzte und zu ihrer Gehörlosigkeit stand. Ich hatte so viele Fragen. Sie und der Pfarrer Hendrick erzählten mir über so viele interessante Einblicke in die Gehörlosenwelt wie das Lormen zum Beispiel welches die Kommunikationsweise der Taubblinden ist. Sie erzählten über internationale Gebärdensprache. Darüber dass man sich über die Länder hinaus brüchig auf Gebärdensprache unterhalten kann trotz der anderen Sprache. Mir wurde von Musik erzählt. Dass es eine Art Kopfhörer gibt die die Vibration aufs Schlüsselbein überträgt und man so die Vibration der Musik spüren kann. Ich erfahre, dass sich Gehörlose mit Leuten die nicht über die Gebärdensprache mächtig sind über Schrift unterhalten. Viele Gehörlose lesen auch die Lippen der Sprechenden.
Mir wird erzählt, dass man den Namen nicht nur mit einzelnen Buchstaben sprechen kann, sondern dass jeder einen Gebärdennamen hat. Etwas was die Person beschreibt. Charakterlich oder bildlich. Mir wird die Handbewegung einer Locke gegeben.
Ich habe so viele Informationen sammeln dürfen. Über das Alltägliche Leben Gehörloser. Und die Probleme und Vorteile die die Gehörlosigkeit mit sich bringt.
Ein paar Wochen später durfte ich den gehörlosen Gottesdienst besuchen. Ich hatte im Vorhinein wieder Fragen, die ich mir stellte. Wie werden die Lieder gesungen? Werden Glocken geläutet?
Diese Fragen wurden mir schon bald beantwortet. Als der Gottesdienst anfing, wurden zuerst anstelle von Glockenläuten die Arme hin und her geschwungen und die Lieder wurden ohne musikalische Begleitung gebärdet. Eher wie eine Art Gedicht. Der Gottesdienst lief so ab, dass immer abwechselnd gebetet, gepredigt und dazwischen immer Gebärdenlieder gesungen wurden. Es wurde über Halloween geredet und verstorbenen Personen gedacht. Der Pfarrer ließ von mir kleine Schirmchen verteilen, die ein Symbol für den Schutz von Gott oder einem Schutzengel darstellten. Ich fand dies irgendwie eine sehr schöne Geste.
Nach dem Gottesdienst versammelten sich alle Anwesenden noch zum Kaffeetrinken. Alle unterhielten sich gesellig und verbrachten eine schöne Zeit miteinander. Und ich durfte die katholische Pastoraleferentin Monika Prillwitz sowie den Vorsitzenden des Fördervereins und Gemeindesprecher Hermann Riekötter ausgiebig befragen
Ich bin sehr dankbar, dass ich einen Einblick in diese besondere Kultur erhalten durfte, die zeigt, wie vielfältig und kreativ der menschliche Ausdruck sein kann. Ich durfte vieles dazulernen.
Ich habe mich gefragt, warum ich als hörende in meinem Leben nie zuvor Berührungspunkte zu der Gehörlosenwelt hatte. Diese Frage beantwortete mir der Pfarrer Hendrik „ Gehörlose können nicht in unsere Welt aber wir in deren“ dieser Satz verdeutlicht, dass es an uns liegt, Brücken zu bauen und Barrieren abzubauen, um eine echte Begegnung zu ermöglichen. Gehörlose haben oft keine Wahl, sie können unsere gesprochene Sprache nicht hören. Die hörenden, haben die Fähigkeit, ihre Welt zu betreten, indem sie sich öffnen, Gebärdensprache lernen und ihre Kultur verstehen. Ich habe in den nächsten Wochen und Monaten vor, mehr in die Gebärdensprache einzutauchen und Basis Gebärden zu erlernen. Ich bin schon voller Vorfreude noch tiefer in das Thema einzutauchen.